1. Haupttonvokalismus[]
In der Entwicklung der Vokale ist zwischen den Entwicklungen im Hauptton und im Nebenton zu unterscheiden. Seit der germanischen Akzentfestlegung wird das Grundmorphem betont, deshalb gelten für dessen Vokale andere Regelungen als für die Vokale der Präfixe, Suffixe und Flexionsendungen. Der Hauptvokalismus gliedert sich in einen Kurz- und Langvokalismus.
Der Kurzvokalismus.
Das Ahd. Besitzt Kurzvokale, die im Mundraum unterschiedlich artikuliert werden: i wird vorne im Mundraum bei hohen Zungenlage artikuliert, u hinten i Mundraum, ebenfalls bei hohen Zungenlage, e vorne bei mittlerer Zungenlage, o hinten bei mittlerer Zungenlage, a in der Mitte des Mundraums bei tiefer Zungenlage.
Das Kurzvokalsystem des Ahd. wird durch die Umlautwirkung von i, ī und j der Folgesilben (Nebensilben) verändert, was eine Erweiterung im Bestand der Vokalphoneme bedeutet. Die Umlautwirkung auf kurzes a wird seit der 2. Hälfte des 8. Jhs. durch e (selten ei, ae, ai) bezeichnet und führt zu einem neuen Phonem (geschlossenes kurzes e). Die Umlautwirkung auf a findet bei umlauthindernder Konsonanz nach dem Stammvokal (fast gesamtahd. ht, hs, oberdt. l + Kons., oft auch r + Kons., hh/ch) und bei schwerer Ableitungssilbe (ahd. hagzissa- „Hexe“) statt.
Es ergeben sich folgende stellungsbedingte Relationen in den Hauptsilben:
ahd. a/ Umlaut:
- a vor allen Vokalen außer i, ī, j, sowie vor der Nullableitung;
- e vor i, ī, j außer bei Umlauthinderung und schwerer Ableitungssilbe (vgl. oben).
ahd. e/ i:
- ё vor (ursprünglicher) a/e/o- Haltigkeit der Folgesilbe;
- i vor (ursprünglicher) a/e/o- Haltigkeit der Folgesilbe und vor Nasalen +Kons.
ahd. o/ u:
- o vor a/e/o- Haltigkeit der Folgesilbe, außer vor Nasalen + Kons.;
- u vor i/u- Haltigkeit der Folgesilbe sowie vor Nasalen + Kons.
Im folgenden soll dargestellt werden, aus welchen germanischen Lauten sich die althochdeutsche Phoneme ableiten lassen:
ahd. i:
< germ. i: got. fisks > ahd. fisc “Fisch”.
< germ. e, wenn e ein hoher Vokal (i oder u) oder j oder eine Verbindung von Nasal und Konsonant nachfolgt: idg. esti > ahd. ist; idg. medios > ahd. mitti „in der Mitte“; idg. bend > ahd. bintan „binden".
ahd. u:
< germ. u: got. sunus > ahd. sun(u) “Sohn”.
ahd. e:
< germ. e, wenn kein hoher Vokal (i und u) nachfolgt: ahd. beran „tragen, gebären“; neman „nehmen“.
< germ. a, wenn i oder j nachfolgt (i-Umlaut): ahd. kraft – krefti; faru – (du) feris.
< germ. i, wenn germ. a/e/o/ nachfolgt (Brechung oder a-Umlaut): idg. uiros > germ. uiraz > ahd. wer „Mann“; idg. nizdos > ahd. nest „Nest“.
ahd. o:
< germ. u, wenn a/e/o nachfolgt (Brechung oder a-Umlaut): germ. gulþa > ahd. gold. Verhindert wird die Brechung von u zu o durch die Verbindung Nasal + Konsonant: ahd. zunga < germ. tungōn und durch einfachen Nasal: ahd. fruma „Nutzen, Vorteil“< germ. frumō; ahd. sumar „Sommer“ < germ. sumera.
ahd. a:
< germ. a: got. akrs > ahd. ackar “Feld, Landstück”.
Der Langvokalismus.
Die Langvokale:
ahd. ī:
< germ. ī: got. hveila > ahd. wīla “Weile, Stunde, Zeit”
< germ. –enh-/ -inh- (Nasalausfall vor h unter Ersatzdehnung des vorangehenden Vokals): germ. þenh-a > ahd. dīhan „gelingen, helfen“.
ahd. ū:
< germ. ū: got. brūþs > ahd. brūt “Braut, jünge Frau”
< germ. –unh- (Nasalausfall vor h unter Ersatzdehnung des vorangehenden Vokals): germ. þunhta > ahd. dūhta 3. Sg. Ind. Prät. von ahd. dunken „denken, glauben“.
ahd. ē:
< germ. ai vor germ. h und vor r und w sowie im absoluten Auslaut: got. aihts >ahd. ēht „Eigentum, Vermögen“; got. maiza > ahd. mēro „mehr, größer“; got. saiwala > ahd. sēula > sēla „Seele, Herz, Leben, Geist“: Ahd. Monophtongierung.
ahd. ō:
< germ. au vor h und Dentalen sowie im absoluten Auslaut: got. dauþus > ahd. tōd; got. laun > ahd. lōn „Lohn“; got. hauhs > ahd. hōh „hoch“; got. auso >ahd. ōra (r < germ. z) „Ohr“: Ahd. Monophtongierung. Im Bair. Erscheint ao für die Vorstufe von ō, manchmal auch im übrigen ahd. Sprachraum.
ahd. ā:
< germ. ē: got. mērjan > ahd. māren “verkünden”; germ. latinisierter PN Segimērus > ahd. Sigimār.
< germ. –anh- (Nasalausfall vor h unter Ersatzdehnung des vorangehenden Vokals): germ. - fahn-a > ahd. intfāhan „empfangen, annehmen, bekommen“.
2. Vokalismus der Nebensilben[]
Vokalismus der Flexionsendungen. In den Endsilben des Ahd. treten alle Kurz- und Langvokale sowie der Diphthong iu auf, letzterer bei der Flexion der Adjektive und der Pronomen. Diese Endsilben werden im Verlauf der Entwicklung des Ahd. zu ə abgeschwächt. Dieser Prozess reicht bis ins 11 Jh., wenn die alten Vokale weitgehend verdrängt sind.
Vokalismus der Mittelsilben und Suffixe.
In den Mittelsilben von drei- und mehrsilbigen Wörtern zeigt sich eine schnellere Entwicklung zum ə hin als in den Endsilben. Mittelsilbenvokale, die durch den Nebenton gestützt werden (wie bei Suffixen), sind besser vor der Entwicklung zu ə geschützt: ahd. scrībāri > mhd. scrībaere „ Schreiber“, ahd. kuni(n)gin > mhd. künigin(ne). Auch Suffixe, die die letzte Silbe eines Wortes tragen, bewahren den vollen Vokal, wie z.B. die Adjektive auf -bar, -sam, -isc und die Substantive auf -ing, -unga, -nissi, -heit, -ī.
Bereits vom Germ. zum Ahd. fallen kurze Mittelsilbenvokale aus, so im Präteritum der schwachen Verben der 1. Klasse, wenn das Grundmorphem eine lange Silbe hat: Inf. hōren – 1./3. Sg. Ind. Prät. hōrta, hōrita.
Weiterhin gibt es eine Tendenz, den Mittelsilbenvokal zu a zu verallgemeinern, auch dort, wo früher o, u stand: lat. diabolus > ahd. tiufal „Teufel“; lat. speculum > ahd. spiegal „Spiegel“. Von dieser Tendenz bleibt am meisten der Mittelsilbenvokal i verschont, es setzt sich aber dafür ab dem Ende des 10 Jhs. e durch.
Ferner entstehen im Ahd. neue Mittelsilbenvokale: auslautende l, r, m, n werden zu -al, -ar, -am, -an:
got. fugls > ahd. fogal „Vogel“
got. hlūtrs > ahd. hlūtar „lauter, rein, klar“
got. taikns > ahd. zeihhan „Zeichen, Bild“
got. faþ-ma > ahd. fadam, fadum „Faden“.
Im Ahd. kommen zwischen l und r + Kons. sowie vor w Zwischenvokale oder Sproß-, Stütz-, bzw. Sekundärvokale, meist a oder u, vor:
Neben bifelhan auch bifelahan „empfehlen, auftragen“; neben farwa auch farawa „Farbe“.
Vokalismus der Präfixe.
Die Vokale der Präfixe za- /zi- / ze-, ant- / int-, ur- / ar- /ir-, far- / for- / fer- / fir- / fur-, bi- / be- und ga- / gi- / ge- werden im Ahd. verändert und reduziert. Die Abschwächung beginnt im Fränkischen, wo sich für die i- Formen wie zifaran, intfaran, irfaran, gifaran durchsetzen.
3. Ablaut[]
Als Ablaut bezeichnet man den „bestimmten Regeln unterworfene[n] Wechsel in der Qualität und Quantität der Vokale innerhalb etymologisch verwandter Wörter oder ihrer Teile“ (Meineke 180). Der Ablaut erscheint sowohl bei Grundmorphemen, als auch bei Flexions- und Wortbildungsmorphemen und kann qualitativer oder quantitativer Natur sein.
Qualitativer Ablaut:[]
Als qualitativer Ablaut wird der Wechsel zwischen zwei verschiedenen Vokalen bezeichnet. Dies betrifft im Indogermanischen am häufigsten den Wechsel zwischen indg. *e und *o, der im Althochdeutschen als Wechsel zwischen ahd. e und a erscheint.
Beispiel: ahd. neman → nam
Quantitativer Ablaut:[]
Beim quantitativen Ablaut erfolgt kein Wechsel zwischen zwei verschiedenen Vokalen, sondern die Länge/Kürze eines Vokals wird variiert. Hat die Vollstufe beispielsweise einen kurzen Vokal, so kann dieser durch den quantitativen Ablaut entweder gedehnt werden (Dehnstufe) oder weiter gekürzt bis zum Schwund des Vokals (Schwundstufe).
Beispiel: Ablautreihe IV:
Vollstufe |
Abtönstufe |
Dehnstufe |
Schwundstufe | |
idg. |
*e |
*o (qual. Abl) |
*ē (quant. Abl) |
ø (quant. Abl) |
ahd. |
e |
a |
ā |
o |
neman |
nam |
nāmun |
ginoman |
(Zu den Ablautreihen siehe auch: Die althochdeutschen Ablautreihen)
4. Quantitative Veränderungen der Vokale[]
Neben dem Ablaut, der bei Verwandten auftritt, können quantitative Veränderungen der Vokale auch abhängig von der lautlichen Umgebung erfolgen. Möglich sind Vokallängung oder Vokalkürzung.
Vokallängung:[]
Eine Vokallängung ergibt sich durch den Nasalausfall vor h, der schon im Germanischen auftritt. Betrachtet man das althochdeutsche Verb fāhan -fāhu - fieng - fiengun - gifangan, so fällt auf, dass in einigen Stammformen ein Nasal n erscheint, während in anderen stattdessen ein Langvokal auftritt. Verantwortlich für dieses Phänomen ist der Konsonant, der auf den Nasal folgt. Erscheint n vor h ,so schwindet n und der vorausgehende Vokal wird stattdessen gedehnt (Ersatzdehnung). Erscheint hier dagegen n vor g , bleibt der Nasal bestehen und der Vokal kurz.
Vokalkürzung:[]
Eine Vokalkürzung tritt in betonter Silbe vor Liquid oder Nasal plus Konsonant auf. Dieses Phänomen geht wohl schon auf das Vorgermanische zurück, wie folgendes Beispiel zeigt:
idg. *h₂uéh₁-ent-o- ‚Wind‘ → vorgerm. *wēntos → urgerm. *windaz → ahd. wint. Während die vorgermanische Form vor Nasal plus Konsonant (nt) noch ein langes ē enthält, ist die Kürzung zu i im Urgermanischen bereits sichtbar.
5. Sporadischer Lautwandel[]
Ein sporadischer Lautwandel wird vor allem durch ein h gefördert. So bewirkt es beispielsweise
- die Verdumpfung von a zu o in unbetontem (j)oh ‚auch, und‘
- die Senkung von u zu o in trohtin ‚Herr, Heiland, Herrscher‘ oder
- die Brechung von e zu io, eo: spiohōn, speohōn für spehōn 'spähen
Auch die Liquida können einen sporadischen Lautwandel verursachen:
- l begünstigt den Übergang von a zu o: halōn - holōn 'holen'
- r wandelt i zu ie: piert 'ihr seid'
Einige Labiale verändern nachfolgendes a zu o: mohte - mahte 'er, sie, es konnte, mochte'. Der Labial w bewirkt darüberhinaus den Wandel von nachfolgendem e zu o, sowie den Wandel von i zu u.
6. Weitere lautliche Phänomene[]
Zum Bereich Vokalismus gehören außerdem die Themen Die ahd. Monophthongierung, Die ahd. Diphthongierung und Umlauterscheinungen.
7. Literatur[]
- Bergmann, Rolf/Pauly, Peter/Moulin, Claudine (2007): Alt- und Mittelhochdeutsch. Arbeitsbuch zur Grammatik der älteren deutschen Sprachstufen und zur deutschen Sprachgeschichte. 7. überarbeitete Auflage. Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen.
- Meineke, Eckhard / Schwerdt, Judith (2001): Einführung in das Althochdeutsche. Paderborn.
- Sonderreger, Stefan (1987): Althochdeutsche Sprache und Literatur. Berlin.